Annotation: | Dieser Titel ist in englischer Sprache. Atlantis erzählt nicht eine, sondern mehrere Geschichten, die alle auf die eine oder andere Weise miteinander verknüpft sind. Um es vorweg zu sagen: Es geht nicht um den versunkenen Kontinent. Jedenfalls nicht um den, an den Sie jetzt denken.
Wir schreiben das Jahr 1960, und der Ort ist Harwich, Connecticut, USA, ein idyllisches Vorstädtchen. In der Broad Street 149 wohnt Bobby Garfield mit seiner strengen und geizigen Mutter Liz. Seine Freunde sind der kräftige John Sullivan ("Sully-John") und die hübsche Carol Gerber, die über beide Ohren in Bobby verknallt ist. An seinem elften Geburtstag zieht in der Wohnung über den Garfields ein neuer Mieter ein. Theodore Brautigan heißt er, ein freundlicher älterer Herr, der Bobby einiges über ihr gemeinsames Hobby erzählen kann. Schließlich bietet er ihm auch einen kleinen Nebenverdienst an. Es geht um Männer, die ihn verfolgen. Männer mit übernatürlichen Fähigkeiten. Männer mit gelben Mänteln. "Niedere Männer", wie Ted sie nennt. Bobby mag Ted, hält ihn aber für ein bißchen plemplem. Doch dann schlägt das Grauen mit scharfen Zähnen zu.
Ort- und Zeitwechsel. 1966, Universität von Maine. Ein Kartenspiel und der Vietnamkrieg führen dazu, daß ein Haufen College-Studenten den Boden unter den Füßen verliert. Sie spielen "Hearts" in Atlantis, und sie können nicht mehr aufhören. Mit von der Partie, wenn auch nicht buchstäblich, ist Carol Gerber, die bereits aus der ersten Geschichte bekannt ist.
1983, New York. Bill Shearman tut Buße, Buße für etwas, das er vor langer Zeit getan hat. 1960, um genau zu sein. Doch man will ihn an seiner Buße hindern. Vielleicht sollte er einen seiner Vietnam-Kameraden um Hilfe bitten. Sie sind immer noch bei ihm, sie alle, in seinem Kopf.
1999, New York. John Sullivan gibt einem Vietnam-Kameraden die letzte Ehre. Dabei kommen die Erinnerungen wieder hoch, an die abgestürtzten Hubschrauber, die herausquellenden Gedärme, an Willie Shearman, der "Ich bin blind! Ich bin blind!" schreit. Und auch an die alte Mama-san, deren Geist ihn seit damals verfolgt, seit damals in der Provinz Dong Ha. 1999, Harwich, Connecticut. Ein alter Bekannter kehrt in seine Heimat zurück. Fast alles hat sich verändert, doch an einigen Menschen scheint die Zeit spurlos vorüberzugehen.
Die erste Geschichte, hervorragend erzählt, spannend und gefühlvoll (und eine erstklassige Hommage an William Golding), nimmt fast die Hälfte des Buches ein, und sie paßt so gar nicht mit den übrigen Geschichten zusammen. Tatsächlich erscheint es sogar pervers, den fiktiven Horror um die "Niederen Männer" und den Mythos um den Dunklen Turm -- um den es auch hier wieder geht, wie in fast allen von Kings jüngeren Büchern -- mit dem realen Horror von Vietnam zu vermischen. Dieser Versuch führt überdies zu logischen Fehlern und langweiligen Wiederholungen. Und Kings Abrechnung mit den 60er und 70er Jahren, mit den Studentenprotesten und den Kriegshelden, ist für das nichtamerikanische Publikum von begrenztem Interesse. Atlantis ist dennoch durchaus lesenswert, aber die Verwebung von Geschichten, die nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun haben, ist ein literarischer Fauxpas. Eine längere Pause zwischen den einzelnen Teilen hilft vielleicht beim Lesen über diesen Mangel hinweg. --Erik Möller |